Unlängst feierte unsere älteste aktive Trainerin (mit aktuell gültiger Lizenz!) ihren 85 Geburtstag. Sie ist sehr elegant, immer schick gekleidet, hübsch frisiert und vor allem äußerst pflichtbewusst und zuverlässig: Christl Sänger.
Wir wollen ihren Geburtstag zum Anlass nehmen, ihr bewegtes (sportliches) Leben einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Bei einer Tasse Hagebuttentee in ihrem gemütlichen Wohnzimmer, zwischen unzähligen Fotos, Dokumenten und bildhaften Erinnerungen durfte ich ein Stück weit in ein Leben eintauchen, das überraschende Parallelen zu der jetzigen Flüchtlingssituation zeigt:
Christl wurde 1937 in Breslau geboren. Sie weiß, wie es sich anfühlt, gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren fünf Geschwistern kurz vor Kriegsende -nur mit den Sachen, die sie am Leib tragen- vor der Roten Armee Richtung Westen zu fliehen. In Thüringen erlebte die kleine Christl die Bombardierung einer nahe gelegenen Munitionsfabrik und Gräueltaten betrunkener sowjetischer Soldaten. Aber auch, wie der Vater aus der Gefangenschaft zu seiner Familie zurückkehrte. Gemeinsam gelangten sie nach Franken, wo bei der Verteilung der Flüchtlinge keiner eine so große Familie aufnehmen wollte. Der reichste Bauer der Gegend wurde dazu verpflichtet und so fand die Familie in einer Gesindewohnung mit nur einem Schlafzimmer für alle Personen Unterschlupf. Ihre erste eigene Heimat fand sie im malerischen Städtchen Rothenburg ob der Tauber. Dort beteiligte sie sich voller Freude beim Historischen Schäfertanz, „der war unwahrscheinlich anstrengend mit dem ganzen Gehopse“ und besuchte Turnstunden im Verein. Von den Bergen und dem bajuwarischen Stadtleben magisch angezogen, suchte sie sich eine Anstellung in München. Über Sportscheck besuchte Christl die ersten Skikurse am Spitzingsee und fand Anschluss an viele wander- und skifreudige junge Leute. So lernte sie ihren späteren Ehemann Werner kennen. Und es wundert nicht, dass sich der Lebensmittelpunkt der jungen Familie, die 1969 zum zweiten Mal Nachwuchs erwartete, nach Neuhaus verlagerte. Wandern, Skitouren gehen, Ski und Rad fahren- all das konnte sie nun täglich mit ihrem Mann unternehmen. „Langlaufen oder straff gehen mit Stöcken und allein, dann kann ich mein eigenes Tempo einschlagen“ macht sie heute noch gern.
Zu ihrer wahren sportlichen Heimat wurden aber die Skizunft Neuhaus und der TSV Schliersee. Die Gymnastik der Reinthaler Musch besuchte sie regelmäßig und für ihre eigenen Kinder und deren Freunde bot sie, sobald es 1978 eine eigene Schulturnhalle in Neuhaus gab, eine Kinderturnstunde an. Durch den Zuzug vieler neuer Familien wuchs die Gruppe „vom Alter, Geschlecht und Können bunt gemischter Kinder“ schnell an. Christl machte einfach zwei Gruppen daraus. Diese Freude an der Arbeit mit Kindern hielt über 20 Jahre an. „Trotz einiger wilder, die nicht hören oder stillstehen wollten, hat es zu unseren Vorführungen beim Turnerabend, zu den Turngalas oder zu Fasching immer geklappt. Man muss halt geduldig sein…“Ach ja, und Eltern, wie ein Herr Polt, der mal eben beim Geräteabbau zupackt, gab es auch. Zusätzlich übernahm Christl 1984 die Leitung der Damengymnastikgruppe vom TSV und der SZ. Mittlerweile weiß ganz Bayern von der Schlierseer Seniorengymnastik, seit der Bayernturner im Rahmen des Landesturnfests 2001 über die Gruppe berichtete und eine 83-jährige Teilnehmerin hervorhob.
Nun ist die Christl selbst schon jenseits dieses Alters und gestaltet die Seniorenturnstunden nach wie vor akribisch vorbereitet und mit großer Begeisterung. Das gesellige Zusammensein zu Fasching („natürlich aufwendig kostümiert“) oder zu Geburtstagen bereitet ihr besondere Freude. „Da legen wir einfach alle Matten als Tische übereinander, dekorieren hübsch mit Deckchen und machen ein großes Buffett und setzen uns auf die Bänke drumherum. So ist es viel gemütlicher als in jeder Wirtschaft.“ Schade, in Corona-Zeiten mussten die Seniorinnen auf all das verzichten. Aber die Turnstunden werden wieder regelmäßig besucht. Das andere kommt sicher auch wieder… Man fragt sich, wie die Christl das alles schafft und dabei noch immer so jugendlich wirkt. Die Antwort findet sich in ihrem eigenen Text (2006) über ihre Gymnastikgruppe:
„Turnen hält jung-meine Seniorengruppe beherzigt ihn. Unser aktives Bewegungsprogramm beinhaltet Übungen zur Beweglichkeit, Koordination, Geschicklichkeit, Kraft und Ausdauer, sowie Stretching- und Entspannungsübungen. Auch Spiele und Folkloretänze gehören dazu. Damit soll die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit noch lange erhalten werden.“
Wie recht du hast, Christl! Irgendwie bist du überhaupt nicht gealtert.
Ich glaube, ich muss mir an dir ein Beispiel nehmen.
Die 85 sieht man dir nicht an! Wir gratulieren dir nachträglich auf das Herzlichste und wünschen dir neben Gesundheit noch viele stilvolle und gesanglich untermalte Feierstunden in deiner geliebten Turnstunde. Danke für deinen unermüdlichen Einsatz in unserem Verein!
(Danke für den schönen Nachmittag bei dir.)
Doreen Kober